Sonntag, 3. Juni 2018

Rohal, der Weise

20. Ingerimm 1020 BF

Am nächsten Morgen begeben wir uns erneut zum Konvent.

Der Saal wurde umgebaut und die Plätze sind nun kreisförmig angeordnet. In der Mitte steht ein großer Tisch, auf dem die Splitterteile des Onyx liegen. Rohezal vom Amboss, Salpikon Savertin und der stellvertretende Akademieleiter Finkenfarn stehen vor den Artfaktteilen. Es herrscht Totenstille.

Ragnar wird hinzugewunken um beim Zusammensetzen zu helfen. Sein Auge scheint ihm die Anordnung genauer zu deuten, jedoch lässt es sich nicht zusammensetzen. Ragnar ruft Isonzo herbei und dieser zieht seinen Handschuh aus. Ragnar zeigt ihm zwei Teile, die zusammenpassen sollten. Mühelos setzt seine metallische Hand die Teile aneinander und sie verbinden sich. Mit geschlossenen Augen lässt Isonzo ein Teil nach dem anderen verschmelzen, die Hand leitet ihn dabei, während Ragnar ihm langsam ein Teil nach dem anderen gibt.

Zum ersten Mal sehe ich zwei Zeichen wirklich zusammenarbeiten und aufeinander angewiesen. Ein siegessicheres Gefühl überkommt mich und gebannt beobachtet der gesamte Konvent, wie Ragnar und Isonzo einen Onyxsplitter nach dem anderen aneinanderfügen. Die Risse der Bruchstellen scheinen ganz zu verschwinden und über eine Stunde setzen die beiden den Onyx Stück für Stück zusammen. Schweiß rinnt ihnen von der Stirn und als nur noch ein Teil übrig ist, lächelt Ragnar Isonzo an und sagt nur "Tu es!" und Isonzo setzt das letzte Stück an die Kugel, während der ganze Raum den Atem anhält. Noch passiert nichts. Die Kugel ist makellos und ohne Risse oder Fugen als ein Ganzes verbunden.

Alle Kampfmagier haben einen Kreis um den Tisch gebildet in Habachtstellung, doch nichts passiert.
Plötzlich wirft Ragnar einen Umhang über die Kugel und alle sind überrascht. Doch Ragnar hat ein ungutes Gefühl, dass man nicht weiß, wer durch diese Kugel sehen kann und in welche Richtungen. Doch die Magier entfernen den Umhang wieder und es wird abgestimmt, ob die Kugel mit Hilfe von Magie aktiviert werden soll. Alle Hände erheben sich zur Zustimmung und die Spannung steigt ins Unermessliche.

Ragnar und Isonzo treten zurück und die drei Magier legen ihre Hand auf die Kugel. Ein Knistern erfüllt die Halle, es bilden sich blaue Linien von Entladungen, ein Geräusch wie Seidenreißen erfüllt den Saal und es entsteht ein blaues Wabern um die Kugel. Salpikon ruft nach Ragnar und auch er geht hinzu und legt seine Hand auf. Eine Fülle von verschwommenen Bildern huschen durch den Raum, scheinbar Orte und der Konvent ist nicht mehr zu halten. Sämtliche Magier raunen ihre analytischen Zaubersprüche durch den Saal, jeder versucht zu erkennen, zu analysieren und zu erfassen, was gerade vor sich geht. Es blitzt, es huscht, es wabert und es wird gezaubert. Die gesamte Halle ist von entladener Magie erfüllt. Irgendwann werden die Geräusche leiser, vielen stehen elektrisiert die Haare zu Berge und ich versuche mir ein Würgen zu unterdrücken, da der riesige Saal dermaßen nach Magie stinkt, dass es mir übel wird.

Eine laute Diskussion entbrennt unter den Anwesenden, über den Erscheinungsort Rohals und alle stürmen ins Freie um sich irgendwohin aufzumachen. Wir folgen Rohezal, holen unsere Ausrüstung und der verhüllte Meister bläst in seine Pfeife. Im Park der Akademie sind sämtliche Blüten der Rohalssiegel aufgeblüht und wir laufen Richtung Stadtpark. Alarmglocken ertönen lautstark und man vernimmt "Drachenalarm". Ich spüre ein Kribbeln im Nacken und schon hört man zerstörerische Geräusche von berstendem Gestein und Holz, als nicht weit vor uns ein Kaiserdrache landet. Diesen Drachen hat Rohezal gerufen und trotz, dass ich ihn freundlich bitte uns mitzunehmen, wirft er mich mit einem leichten Prankenhieb um und erst nach einigen Worten von Kaldrim, lässt er uns aufsteigen. Isonzo verwandelt ein Gewand in eine Hebevorrichtung für Saaris Wolf und als alle sicher auf seinem Rücken sitzen, erhebt er sich und fliegt Richtung Ambossgebirge.

Er steuert auf den höchsten Gipfel zu, die Rohalszinne, die von unnatürlich vielen Vögeln aller Art umflogen wird. Irgendwann landet der Drache vor einer kleinen Hütte. Tatsächlich ist nicht weit davon entfernt ein fast durchsichtiger, schier unsichtbar wabernder Turm zu erkennen. Die Ebene um ihn herum ist ein Farbenmeer voller Blumen und Gräsern und abertausende Schmetterlinge tummeln sich in ihnen. Rohezal klopft an den Turm und es öffnet uns eine junge Frau, die unverkennbar Rohezals Tochter zu sein scheint.

Irgendetwas ist jedoch bereits hier. Ich fühle es. Ragnar geht es ebenso. Es ist wie eine seltsame Präsenz, die all diese farbenprächtigen Naturphänomene ebenfalls auslöst.  Wir drehen uns nochmals um und die Wiese vor uns verzückt Rohezal regelrecht. Bei genauerem Hinsehen bemerken wir allerlei magische Kleinwesen, wie Blütenjungfern und kleine Kobolde, die umherhüpfen. Mindergeister witschen durch die Halme und eine strahlende Sonne blendet uns. Doch vor uns erkennen wir auf einem Hügel eine Gestalt. Sie nähert sich uns und ein Mann mit einem uralten Gesicht, barfuß und nur in eine strahlendweiße Tunika gehüllt, schreitet langsam auf uns zu. Er hat freundliche Augen und lächelt uns an. Kaldrim fällt ehrfürchtig auf die Knie, während sich Rohezal schweißüberströmt und erschöpft auf den Boden setzt.

Rohal, der Weise steht leibhaftig vor uns. "Es war unvermeidlich, dass er zurückkehrt" sagt er freundlich und erklärt uns, dass das alles entscheidende Treffen noch bevorsteht. Er verspricht uns, dass Borbarad diesmal fallen wird. Denn bisher ging stets Borbarad voraus und Rohal musste ihm folgen, doch diesmal wird es umgekehrt sein und er wird vorausgehen um dafür zu sorgen, dass sein Bruder ihm dahin folgen wird, wo er nicht wiederkehren kann.

Er bietet uns an ihm drei Fragen zu stellen und es beginnt eine kurze Diskussion darüber, was wir ihn fragen sollen. Letzendlich stellen wir ihm die Fragen:
1. Muss Rohal sterben, damit Borbarad ebenfalls stirbt?  Rohal wird vorausgehen!
2. Was ist die Waffe gegen Borbarad?  Wir!
3. Was können wir gegen Borbarad tun? Weitermachen und nicht aufgeben! Zusammenhalten!

Nach den Fragen berichtet er uns noch von einem Frevel an Satinav und überreicht seine Kappe an Kaldrim mit dem Auftrag: "Findet Borbrads Zeit, und gebt ihr dies, damit sie Borbarad findet!"

Plötzlich beginnt sich der Himmel zu verdunkeln und Donnergrollen schallt durchs Gebirge. Schwarze Wolken türmen sich über der Lichtung auf und ein Tor, welches gräulich wabert öffnet sich. "Herrin Hesinde, steh mir bei, ich dachte nicht, dass er so schnell kommt" sind Rohals letzte Worte, ehe der dunkle Widersacher aus dem Wabern tritt.

Eine Gestalt verlässt das Portal, die wir so noch nicht sahen. Er wirkt fremd, viel älter und sehr mächtig. Sein Haupt wird von einer siebenstrahligen Dämonenkrone geschmückt. Auch er ist barfuß und seine Augenbrauen umranden seine düsteren Augen mit lodernden Flammen. Seine sechsfingrigen Hände sind nach hinten gestreckt, ehe er sie nach vorne reißt und Rohal angreift.

Kaldrim will vor Rohal springen um ihn zu schützen, doch im Laufe eines Wimpernschlags ist er schon versteinert und muss aus nächster Nähe alles mit ansehen. Ragnar verlässt plötzlich schweigend die Lichtung. Isonzo steht erstarrt neben mir, nachdem er völlig nutzlos einen Dolch geworfen hatte und beobachtet ebenso wie ich die Szene. Einerseits wäre dies die Gelegenheit meinen Kampf einzufordern, andererseits ist dies nicht mein Kampf und wie in den Arenakämpfen geht es hier um einen ehrenvollen Kampf zwischen zwei Brüdern. Dies ist nicht mein Kampf!!! Und ich ziehe mich an den Rand der Lichtung zurück.

Borbarad reißt die Hände nach vorne und jagt eine blaue Kugel in Rohals Richtung, die dieser inmitten der Strecke aufhalten kann. Energieblitze entladen sich zwischen den beiden. es entsteht ein magischer Sturm. Selbst Faldegorn der Drache fliegt davon. Die Erde bebt und man hört Fels bröckeln um uns herum. die beiden scheinen ewig so dazustehen, ein Machtkampf zwischen gut und böse. Die beiden stehen inmitten des magischen Sturms, gleich einer Kuppel und man erkennt beide kaum noch. Plötzlich entlädt sich eine magische Explosion und es ist still. Der Sturm verebbt und nur Borbarad steht noch auf der Lichtung. Rohezal bricht neben uns zusammen. Nachdenklich starrt Borbarad vor sich hin. Doch auf einmal ballt er die Fäuste und erneut öffnet sich eine Pforte, durch die fünf völlig verformte Zantim erscheinen. Mit einem gleichgültigen "Zerreißt sie!" geht er langsamen Schrittes zurück zu dem Portal durch das er gekommen war.

Schlagartig verwandle ich mich in die Echselngestalt und stelle mich den Eindringlingen entgegen, die auf uns zustürmen. Zwei haben es auf mich abgesehen und ich sehe noch aus den Augenwinkeln, wie Kaldrim wieder aus dem Stein erstarrt. Ein harter Kampf entbrennt. Die Zants sind selbst für Dämonen furchtbar entstellt und nach einem langen Kampf, der mich fast zum Erliegen bringt, gelingt es uns, sie in die Niederhöllen zurückzujagen. Rohezal schaffte es mit letzter Kraft Isonzo zu versteinern, ehe er getötet wird und auch ich blute aus tiefen Wunden. Faldegorn ist zurückgekehrt und auch er kämpfte gegen die Dämonen. Borbarad verschwindet als alle Zants besiegt sind.

Wir können uns noch zum Turm schleppen und Rohezals Tochter versorgt uns, ehe wir völlig erschöpft und niedergeschlagen in den Schlaf fallen.
Rohal, der Weise ist von uns gegangen - auf eigenen Wunsch. Doch ob uns das nicht auch wieder mal angehängt wird, ist fraglich.