Montag, 20. Juli 2015

Endlich wieder Tränen

18. Firun 1019 BF

Einige Tage später liege ich des Abends auf meinem Bett und starre an die Decke. Ich fühle mich erschöpft, ausgelaugt, am Ende. Ob es nicht doch noch zu früh ist für das harte Training?

Gedanken kreisen in meinem Kopf wirr umher. Ich hebe meinen nackten Armstumpf, starre auf die leicht geschuppte Narbe am Oberarm und fahre leicht mit dem Zeigefinger darüber. Es fühlt sich seltsam an und kühl. Fünf Monde ist es nun her, dass ich der Riesenechse gegenüber stand. Ich erhebe mich, geh zur Waschschüssel und schütte mir Wasser ins Gesicht. Dann warte ich ab, dass sich die Wasseroberfläche wieder beruhigt. Ich starre in mein Spiegelbild. Meine Haare sind ergraut und werden immer dünner. Ich sehe furchtbar aus. Kurzerhand hole ich mein Rasiermesser und fange an mir den Schädel kahl zu rasieren. Ich werde Ragnar fragen, ob er ihn mir bei Gelegenheit tätowiert. Als ich fertig bin, starre ich mich erneut an. Nicht wirklich besser, aber wenigstens aufgeräumter und weniger Arbeit.

Ich werfe mich wieder aufs Bett und zerbreche mir den Kopf über die letzten Monate und über meine Gefährten. Kaldrim habe ich schon einige Tage nicht mehr gesehen...

Salpikon, der Feigling, hat uns im Stich gelassen, aber was war auch schon wirklich anderes von ihm zu erwarten. Sind sie, wenns drauf ankommt, doch alle gleich. Große Töne spucken und dann kneifen.
Borbarad hat uns erneut gezeigt wie machtlos wir doch sind. Ist er überhaupt aufzuhalten? Ich komme mir vor wie eine Marionette in einem schlechten Theaterstück.
Dennoch will mein Innerstes den Sieg gegen ihn erringen. Überhaupt habe ich das Gefühl, ich bin oft nicht mehr ich selbst. Wenn ich an früher denke, mit meinen Glaubenskrisen und meinen ständigen Gefühlsausbrüchen, in denen ich nur noch geweint habe vor Kummer. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal geweint habe. Manchmal würde ich es gern. Doch jedes Mal, wenn ich die Kraft des Wächters in mir spüre, kommt es mir vor als verlöre ich einen Teil von mir selbst. Ich spüre dann die kalte Blutgier und es missfällt mir nicht mal. Erst lange hinterher lässt es nach...

Ich lasse nochmal unseren Angriff auf Andalkan revue passieren.... die beiden Rebellenschiffe, die wir abfackelten... Kaldrim hatte Recht, sie waren unschuldig. Doch in dieser Situation hatten wir keine Wahl. Und wen kümmern die schon?
Ich sehe mein Dorf von damals vor Augen und sehe erschrockene Gesichter, die mich entsetzt anstarren, als können sie es nicht glauben. Manche Blicke strafen mich und ich versuche die Gedanken abzuschütteln. Keiner von ihnen war auf diesen Schiffen, wir lebten viel zu weit nördlich. Und wenn Darjinn schon Verrat begangen hat, dann waren sicher auch einige andere IHM verfallen. Meine Retter von damals sind entweder tot oder untot und nun seine Anhänger. Sulman hat dafür gesorgt, dass niemand überlebt hat. Also gibt es nichts was ich mir vorzuwerfen habe. Ein paar Männer mehr oder weniger, was macht das schon...

Darjinn! Diese Genugtuung ihn zu besiegen und doch kommen Erinnerungen an die schöne Zeit zurück....
Es gab einmal diese Zeit.... diese Zeit des Glücks... Jahre ist sie her... Hassan, Darjinn, Leonardo... sie alle gaben mir einmal das Gefühl von Glückseligkeit und Sicherheit... ich spüre wie sich in meinen Augen ein paar Tränen sammeln... ich sehe mich in dem wunderschönen Ballkleid über die Tanzfläche wirbeln in Kuslik....dann sehe ich Manila mit ihrem Baby auf dem Arm, das meinen Namen trägt und plötzlich bin ich ganz und gar die alte.... Ich weine, wie ich schon ewig nicht mehr geweint habe. Die Last meiner Bürde lässt mich für einen Moment ich selbst sein und meinen ganzen Körper schüttelt es vor Trauer um alle verlorenen Seelen. All diejenigen, die ich verloren habe, all die Kinder, die Xeraan, für sich benutzt hat, all die Unschuldigen Toten, die IHM zum Opfer fielen, und die, die wegen UNS starben, Adaque hat sich für mich geopfert, Sheranius starb für uns....zu guter Letzt kam Ardo im rechten Moment, doch was wenn er nicht gekommen wäre, oder sie ihn ebenfalls getötet hätten, vor meinen Augen...

Ich rolle mich auf der Seite zusammen und schließe die Augen, bis ich irgendwann im anhaltenden Tränenfluss in den Schlaf falle.