Sonntag, 19. Juli 2015

Ansichtssache

4. Rondra 1017 BF

Der Regen wird immer stärker. Der Weg verwandelt sich in einen schmalen Gebirgspfad. Die Gebirgswände verschwinden in den nebligen Wolken und der Weg wird steiler. Die Wälder und Sträucher sind kargem Gestein und Krüppelgewächsen gewichen. Auf unsere Nachfrage, ob es eigentlich eine Höhle gibt in der Nähe des Klosters, ist nichts bekannt, doch im Gebirge gäbe es sicherlich immer irgendwo Höhlen.

Als ich Kaldrim anspreche, warum er nicht mehr mit mir spricht, diskutieren wir wieder einmal, doch dieser Zwerg ist wie immer uneinsichtig. Er redet von der Wahrheit und der wichtigen Zusammenarbeit mit der Kirche. Ich dagegen bin verärgert, dass er uns angepriesen hat wie ein Goldkettchen. Er selbst hat doch in der Garnison gelogen. Allem Anschein nach legt er sich meist alles so zurecht wie er es braucht und geht so recht sorgenfrei durchs Leben, im festen Glauben, dass die Götter es so für gut erachten. In den Dingen, die wir bisher erlebt haben, sehe ich unser Versagen, während Kaldrim unsere Erfolge sieht. Er ist durch und durch ein Optimist. Die Elfen haben ihm scheinbar einen anderen Blickwinkel gezeigt und so sieht er überall nur das Gute, selbst in diesem kargen Gebirge und seinem ewigen Regen.

Es ist mittlerweile Abend geworden und nach dem Gezanke mit Kaldrim reite ich an die Spitze des Zuges und frage nach, wann wir das Nachtlager aufschlagen. Nach kurzer Beratung nächtigen wir dort, wo wir gerade sind und ich ziehe mich zurück, setze mich unter Soraya und starre in die Dunkelheit.

Mich haben wieder einmal alle Zweifel eingeholt. Erst verlor ich meinen Glauben an die Zwölfe und an Rondra. Dann fand ich wieder zu ihr und doch nagen immer wieder Zweifel an mir. Jetzt wo ich gerade wieder Halt fand, verurteilt die Kirche auch noch Ardo zu Unrecht. Das ist einfach ungerecht.
Meine Seele mag dunkel überschattet sein, aber wen wunderts. Seit dem Tod meiner Mutter finde ich keine Ruhe. Selbst Ishar hat mich gefunden. Wie konnte ich nur so naiv sein und denken sie hätte mich vergessen. Ich ging davon aus, sie denkt ich sei tot. Erkennen würde sie mich eh kaum wieder. 10 ganze Jahre ist es nun schon her und insgesamt bin ich seither um 30 Götterläufe gealtert. In ein paar Tagen habe ich mein 27. Tsafest, aber als ob das je jemanden interessiert hätte seit Mutters Tod.
Ob ich jemals all die Dinge, die geschehen sind, vergessen oder verzeihen kann, um ein wenig mehr Licht in meine Seele zu lassen? Man könnte den Zwerg schon fast beneiden. Vielleicht sollte ich ihm eine Chance geben, ein wenig Freude auf mein Gemüt werfen zu lassen. Selbst Ragnar findet das Wetter angenehm und er hat Recht - ständig bin ich unzufrieden mit dem Wetter, egal wo wir sind. Aber zu den Niederhöllen, es ist ja auch immer miserabel. Warum werde ich auch immer in den Norden gerufen?

Trotz meiner vielen Zweifel bete ich zu Rondra für uns und Ardo, und falle irgendwann in den Schlaf.